Regiebuch: Der Film im Kopf

(Roland Stumpf, 5. September 2019)

Das Bearbeiten des Regiebuchs  der “ FrauJEDERmann“ ist für mich wie das Ansehen eines Films , während dem ich mir Notizen mache. Ich notiere dabei nicht den Inhalt des Films, sondern die gerade gezeigten Emotionen der Schauspieler,  ihre Bewegungen zueinander, ihre Positionen, von wo aus sie agieren , die Requisiten, benutzten Gegenstände und Bauten und die untermalende Musikrichtung. Ich achte dabei akribisch auf die Wirkung, die das Gesehene in mir erzeugt.  Sie ist mein Korrektiv und Maßstab. Der Text an sich tritt vor der Anmutung und der Stimmigkeit der Gesamtszene in den Hintergrund. Er ist das Gerüst, an dem ich das Spiel und die Wirkung des Spiels festmache. Wichtig ist, dass sich in mir ein Gefühl des Hineintauchens ins Geschehen entwickelt , bei dem kein Teil als störend empfunden wird, sondern jedes Element den Phantasieprozess beflügelt. 

Roland Stumpf beim Arbeiten an seinem „inneren Film“

Ich lese also  Szene für Szene den Text des Stücks, schließe nach jeder Textpassage die Augen und sehe “meinen Film”, in dem sich das gerade Gelesene  abspielt. Was ich vor diesem inneren Auge sehe, notiere ich als Regieanweisung, immer im Abgleich mit den Emotionen, die dieser gesehene “Filmabschnitt” in mir hervorruft.

Auf mehr als 150 Seiten ist das Regiebuch von frauJEDERmann bereits angewachsen.

Ich muss sagen, dass Hofmannsthals  Stück unter die Kategorie “Actionfilm” fällt. Da gibt es nur ganz wenige Passagen, die Tiefgründigkeit, Kontemplation und inneren Dialog verlangen. Bei frauJEDERmann tut sich etwas und das durchgehend.  Hier wird das schrille, laute Leben gezeigt, das frauJEDERmann führt; ihre ausgelassenen und frivolen Gäste; ihr schillernder Gesell; ihr triebhafter Umgang mit der Liebe; ihre Begegnungen mit dem Leid und der Armut ihrer Mitmenschen und ihre verständnislose Reaktion darauf;  der Unmut Gottes über diesen Lebenswandel; die notgedrungene Erfindung des Tods; die Besinnung frauJEDERmanns in ihrer letzten Stunde und die Heimholung eines geläuterten Menschen in die geistige Welt. Das Stück ist atemlos wie das Leben.  

Diese permanente Abfolge von Lebensschauplätzen und Befindlichkeiten  gibt der Regie ein weites Interpretations- und Spielumfeld. Ich bin daher “in meinem Film” vor lauter Schauen gar nicht nachgekommen, das Gesehene zu notieren. Ein Phänomen ist mir dabei  besonders aufgefallen. Nicht nur die Darsteller, die eingesetzten Requisiten und das Bühnenumfeld befeuern das Spiel , sondern auch das Publikum wird zu einem Akteur. Immer wieder wird es ins Geschehen hineingezogen, muss mitmachen,  kann sich dem Prozess auf der Bühne nicht entziehen. Die Auftritte der Schauspieler sind daher so gewählt, dass sie nah am, bzw. durch die Mitte des Publikums erfolgen und dabei das Publikum ins Spiel einbeziehen. Das ergibt eine Symbiose zwischen Spiel und Publikum, der  “…man sich nit entziehen mag”, so formuliert es GOTT bei der Auftragsübergabe an den TOD. 

Bei frauJEDERmann wird im Team gearbeitet. Acht Personen sind wir bei der Regie und die jeweiligen „inneren Filme“ werden bei den Regietreffen editiert, geschnitten, und gekürzt. Manchmal werden auch Szenen einfach gestrichen. Ein für jeden fordernder Prozess.

Herausgekommen dabei  ist ein sehr detailliertes Regiebuch, das für die Schauspieler genaue Vorgaben enthält. Das kann für Manche befremdlich , von Anderen  als sehr hilfreich empfunden werden. Ich meine, dass das Regiebuch ein breites Spektrum an Spielgelegenheiten vorgibt, die die Schauspieler mit Leben erfüllen sollen. Sie brauchen daher wenig nach Gelegenheiten für ihr persönliches Spiel zu suchen, denn diese Gelegenheiten zeigt  das Regiebuch auf. Vielmehr soll sich ihre ganze schauspielerische Begeisterung in den vielen Spielgelegenheiten entfalten, die das Regiebuch aufzeigt.

Diskussion über FRAU JEDERMANN und ihren BUHLER. Wie „sexy“ darf oder soll FRAU JEDERMANN sein? Im Bild von li nach re: Marcus Marschalek, Riki Stamminger, Georg und Melitta Fiala, Roland Stumpf, Marion Prechtl.

Ich selbst bin auch Darsteller des TODS. Ich habe nach meinen eigenen Regieanweisungen die Rolle des TODS oftmals für mich alleine durchgespielt. Das Interessante dabei war, dass ich mich durch meine eigenen Regieanweisungen nicht beeinträchtigt gefühlt habe, sondern  eine Vielzahl an Ausdrucksmöglichkeiten in Mimik, Gestik und Sprache gefunden habe, die ich völlig frei anwenden konnte, ohne die Regieanweisung vergessen oder umstoßen zu müssen.  

Das Regiebuch ist das Eine, die Regiearbeit bei den Proben ist etwas Anderes. Ich bin sehr gespannt , wie sich die Regiearbeit im Kopf  mit den SchauspielerInnen auf der Bühne umsetzen lässt, welche neuen Inputs von den SchauspielerInnen kommen, ob man etwas verändern oder neu einbauen wird und ob sie den  Schauspielern hilft, sich zu entfalten und ihre Freude am Spiel zu fördern. Schlussendlich soll sie der Arbeit zwischen Regie und Schauspielern und damit einer eindrucksvollen Aufführung von frauJEDERmann dienen.