Der Text und seine Botschaft

(Georg Fiala, 28. August 2019)

Noch stehen wir fast am Anfang. Der Text zu den Rollen wird fleißig geübt, aber noch ist nichts auf der Bühne gespielt. Ich denke, für jeden Beteiligten des Projekts steigt die Spannung, je weiter sich die vielen Überlegungen zum zeitgemäßen „Gendern“ des Textes zu Bildern und Szenen, mit selbstkomponierter Musik, Bühnenbild und Kostümen zu einem Ganzen fügen werden. Wie lässt sich möglichst viel vom Geist Hofmannsthals und seinem Blick auf das Geschehen seiner Zeit zu einem Ausdruck in unsere hochmoderne, aktuelle Zeit überführen? Was hat sich seither verändert? Wir können nur unser Bestes versuchen zu geben, dass durch unser Spiel auf der Bühne diese Zusammenhänge deutlich werden.

Georg Fiala beim Textlernen. Er wird den TOD bei frauJEDERmann spielen. In der Beschäftigung mit dem Text macht er sich seine Gedanken zu Texttreue und den Interpretationsebenen von Text.

Aber womit fülle ich als Schauspieler die Worte meines Textes, sodass das, was ich mir daraus erarbeite, lebendig werden kann? Allmählich nimmt die Gewissheit zu, dass uns unsere „Rollen“ vereinnahmen werden, sie werden Teil unser selbst. Aber wie wird sich die Rolle im Proben des Stücks noch verändern? Welche Möglichkeiten des Ausdrucks sind im Text angelegt, die ich selbst eher noch mehr erahne, als wirklich zu erkennen? 

Vielleicht sind theoretische Überlegungen zur Kommunikation an sich dazu geeignet, unser Bewusstsein zu heben, um das „praktische“ Spielen der Rollen auf der Bühne mit notwendiger Leichtigkeit zu füllen.

Zeitgemäße Theorien zur Kommunikation, so viel habe ich verstanden, gehen davon aus, dass der semantische Gehalt einer Aussage vom Empfänger der Botschaft in Form unterschiedlicher Anteile erschlossen wird. Etwa gleiche Teile der Aussage werden vom Wortsinn an sich und der Sprach-Modulation, also etwa Betonungen mit Höhen und Tiefen, von Timbre und Pausen etc. getragen. Rund 70% des semantischen Gehalts aber werden – wiewohl unbewusst oder gerade weil unbewusst-  vom Empfänger allein durch Körpersprache, Gestik und Mimik wahrgenommen! 

Das scheint zunächst paradox, erklärt aber auch, warum es für uns Menschen oft schwer ist, uns einander verständlich zu machen. Die Interpretation einer Botschaft durch den Empfänger unterscheidet sich oft wesentlich von der beabsichtigten Botschaft des Senders! Aus der Psychologie kennt man zudem das Phänomen von „double-bind-Botschaften“. Widersprüchlich interpretierbare Aussagen zeitgleich transportiert, können nicht nur unzureichend adäquat verarbeitet werden, schlimmer noch, sie vermögen krankmachendes Potential für den Empfänger in sich zu tragen.

Die erste Jedermann Aufführung in Salzburg 1920. JEDERMANN wurde damals von Alexander Moissi gespielt. Foto: Archiv der Salzburger Festspiele/Ellinger

Scheinbar eindeutige Botschaften erhalten andererseits durch entsprechendes „Schauspiel“ ein tiefgründiges Amalgam vielfältiger Botschaften differierender Bedeutungen, die den Empfänger mit einem ganzen „Strauß“ an Emotionen durchfluten können, die ohne „double bind“ gar nicht zugänglich wären. „Das Wort allein macht mir schon bang, der Tod ist wie die böse Schlang, die unter Blumen liegt verdeckt, darf niemals werden aufgeweckt“. 

Die Macht des Todes erhält in der Metapher eine Gestalt, mit einer ganz anderen Wirkmacht, als im reinen Wort an sich. Der Tod wird lebendig im Bild der Schlange und erhält in der Rolle des Stückes einen Raum zur Auseinandersetzung, zu dem sich quasi eine neue Tür öffnet.

Rückbezogen auf die Rolle als Darsteller auf der Bühne, wird vom Nebeneinander aus gesprochenem Wort, der „Anhebung“ meines aktiven Sprechens und begleitender Körpersprache dem Zuhörer und Zuschauer eine Vielfalt an Interpretationen „abverlangt“, mit der er als Empfänger der Botschaft in unser Spiel mit hineingezogen wird und die in ihm selbst erst lebendig werden kann.

Der „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen 1952. Den JEDERMANN spielte Will Quadflieg. Foto: Archiv der Salzburger Festspiele/Madner

Zuträglich zumal die bildreiche Sprache Hofmannsthals, gut „durchgeschüttelt“ mit streng durchkomponiertem Reim, und „leicht angestaubt“ mit einer fast befremdlich „anmutenden“ Wortwahl, die wie aus einer vormaligen Zeit kommend, dem Stück die notwendige Weite verleiht. In dieser Weite wiederum können Rollen vielfältiger angelegt und interpretiert werden, als dies mit unserer – gewohnten – Alltagssprache wohl gelänge.

So gesehen scheint mir die lange und herausfordernde Diskussion um die „Texttreue“ sehr wichtig gewesen zu sein. Lassen wir uns selbst vom Zauber Hofmannsthalscher Textkunst – mit eigenen Textzusätzen gewürzt – in den Raum wirklichen Spiels fortreißen! Das „Verstehen“ des Textes allein ist weniger aufschlussreich, als vielmehr das „Einschwingen“ auf Rhythmus und Tonlage einer Sprache, die uns SchauspielerInnen zum „Tanz auf der Bühne“ auffordert. Leichtigkeit und Tiefe im Spiel zugleich sollen uns tragen, dem Publikum zum Genusse!