(Marcus Marschalek, 5. August 2019)
Vor mir blaue Wellen. Das Meer rund um die kroatische Insel Korčula soll mich für die Inszenierung von frauJEDERmann inspirieren. Ich sitze mit meinem Laptop auf einer kleinen Terrasse und klopfe Ideen in die Tasten. Seit Monaten beschäftige ich mich nun schon mit dem Jedermann und viele Ideen für die Umsetzung schwirren durch meinen Kopf. Doch ich bin nicht alleine für die Regie bei frauJEDERmann verantwortlich. Wir sind ein mehrköpfiges Regieteam. So sitzt etwa 900 Kilometer weiter in Wien gerade auch Roland Stumpf vor seinem Computer und Riki Stamminger macht ähnliches im Westen von Österreich. Regie führen im großen Team? Das mag für manche ungewohnt klingen, wenn man aber in die Geschichte von Theaterproduktionen durch die Jahrtausende schaut, gab es das alles irgendwann schon einmal.

Neu ist vielleicht bei uns, dass wir an beliebigen Orten, über hunderte Kilometer voneinander entfernt sind uind und dennoch im Team arbeiten. Dank Google-Docs und Mobiltelefon können wir zentral und gleichzeitig auf unser Regiebuch zugreifen und sehen in Echtzeit, was andere gerade schreiben. Hat man sich erstmal dieser Herausforderung gestellt, dass einem quasi jederzeit beim Denken zugeschaut werden kann, Ideen sofort aufgegriffen, weiterentwickeln oder auch beiseite geschoben werden, ist das genial.
Aber was mache wir als Regieteam? Wie werden wir gemeinsam Regie führen? Dazu muss man sagen, dass es “die Regie” als solche, noch gar nicht so lange im Theater gibt. In Wien etwa, wurde erst 1771 jemand unter dem Titel “Regisseur” am Theater angestellt. Regisseur ist also ein relativ junger Beruf in der langen Geschichte des Theaters, der zunächst die administrativen und organisatorischen Belange rund um eine Theaterproduktion zu erledigte hatte. Die Wortherkunft aus dem Französischen hat auch weniger mit Kunst, als vielmehr mit Eintreiben der “Régie”, einer Steuer zu tun.

Offensichtlich waren spektakuläre Inszenierungen von der Antike über das Barock bis ins 18. Jahrhundert auch ohne künstlerisch begabten Regisseur möglich. Das scheint heute fast undenkbar, wo doch oft der Regisseur im Mittelpunkt einer Produktion steht. Soll uns das Mut machen?
Im Mittelalter zum Beispiel, die Zeit der Mysterienspiele und des Ursprungs der Jedermann-Spiele, gab in den Kirchen und Klöstern anonyme Verfasser von sehr detaillierten Spiel-Anweisungen zum “Geistlichen Schauspiel”. Es ging darum, bestimmte Darbietungen effektvoll in Szene zu setzen. So ist von plötzlichem Auslöschen des Kerzenlichts die Rede, oder es wird beschrieben, wie an Seilen hängend Requisiten durch das Kirchenschiff geschwungen werden. Auch hat man etwa im 12. Jahrhundert mit Donner-Geräuschen und anderen Klängen versucht dem Publikum in oder vor den Kirchen Aufmerksamkeit abzuringen. Im Team der Schauspieltruppe hat man sich damals so einiges einfallen lassen und umgesetzt. Wie aber werden wir unser Publikum 2020 vor der Rodauner Bergkirche in den Bann ziehen?
Vor mehr als hundert Jahren, am 1. Dezember 1911, hat Max Reinhardt die Premiere des “Jedermann” von Hofmannsthal in Berlin inszeniert. Reinhardt hat sehr detaillierte Regiebücher angefertigt und sehr konkrete Vorstellungen für seine Darstellerinnen und Darsteller mit in die Proben gebracht. Bertold Brecht wiederum, der damals ein Jugendlicher war, hat etwas später seine Schauspielerinnen und Schauspieler in den Proben vor allem ungezwungen spielen und probieren lassen und war mehr neugieriger Beobachter als Regie-Regent. Anweisungen gab es von ihm kaum. Ein Blick in die kurze Geschichte des Regie-Berufs zeigt, dass es zwischen diesen beiden Herangehensweisen fast alles an Regie-Zugängen gab und gibt.

Als frauJEDERmann Team versuchen wir Stück für Stück unseren eigenen Regie-Weg zu finden. Als ich vor ziemlich genau einem Jahr erstmals über den Jedermann in Rodaun nachgedacht habe, sind mir schnell konkrete Ideen und Interpretationen des Stoffes eingefallen. Im Dialog mit anderen haben sich dann Herangehensweisen weiterentwickelt, einige Ideen wurden beiseite geschoben. Aber immer hatte ich das Gefühl, dass in der Auseinandersetzung mit anderen die Interpretation an Schärfe gewinnt. Aus dem “Ich” wurde schnell ein “Wir”, ein Regie-Team, in das von Anfang an auch die Schauspielerinnen und Schauspieler eingebunden waren. Schnell wurde uns klar, wer im großen Team an einem Stoff arbeitet, muss die Dinge genau dokumentieren, für andere nachvollziehbar machen und so sind wir bei der Methode nahe bei Max Reinhardt gelandet. Wie er verwenden wir bunte Farben, um in unserem Regiebuch etwa Text, Requisiten, Aufgänge und Abgänge, Musikeinsatz, Orte oder auch Bewegungen genau anzugeben und zu markieren, auch weil wir alle Rollen in Doppelbesetzung spielen. Hundert Jahre nach Reinhardt machen wir das aber digital, mit Hilfe von Google Servern.
Es ist für uns spannend zu sehen, wie sich Ideen konkretisieren. Das Ringen um ihre Umsetzbarkeit uns manchmal neue Wege einschlagen lässt, unserer Interpretation des Jedermann-Stoffs einen neuen Drall gibt und spannende Aspekte des Spiels aufzeigt. “Aus dem Inhalt die Lehr ausspüren”, so steht es im Prolog des Jedermann von Hofmannsthal und das ist und war der Fokus unserer Arbeit am Regiebuch der vergangenen Wochen. Was müssen wir tun, dass unser Publikum sich für das Stück und den Text zu interessieren beginnt und die Verse als Inspiration für eigene Überlegungen aufgreift? Daraus ergibt sich, dass wir das Stück attraktiv und verständlich umsetzen müssen.
Im Regieteam haben wir uns vorgenommen einen sehr klaren und durchaus detailliert ausformulierten “roten Faden” unseren Schauspielerinnen und Schauspielern auszulegen. In zwölf Szenen haben wir frauJEDERmann aufgeteilt und in jede dieser Szenen wollen wir bei der Probenarbeit mit konkreten Vorstellungen und Zielen gehen. Unser Regiebuch zählt schon fast 200 Seiten. Wenn man sein Territorium gut kennt, vieles durchdacht und abgewogen hat, dann hat man auch den Mut den Pfad zu verlassen und sich im freien Gelände zu bewegen. Das heißt, wir freue uns schon auf die Arbeit mit den Darstellerinnen und Darstellern und werden dann hoffentlich nicht nur Guides, sondern so wie Bertold Brecht, auch neugierige Beobachterinnen und Beobachter sein, die bereit sind festen Boden zu verlassen, um zu spannenden Höhenflügen anzusetzen. Unser Publikum darf gespannt sein!