(Marcus Marschalek, 2. Juni 2019)
Einen Text an dem Ort seines Entstehens aufzuführen ist etwas Besonderes. Daher fühlen wir uns auch Hugo von Hofmannsthals Jedermann besonders verpflichtet. Doch an manchen Stellen macht es einem der Rodauner Schriftsteller nicht leicht. Einige Worte, etwa „böslich“, verwendet heute keiner mehr und manche Satzstellungen könnten ungewohnter „nit“ sein. Unverständlichkeit zu Gusten des Reims?
Hugo von Hofmannsthal verwendet ja eine Art Kunstsprache, angelehnt an das Neumittelhochdeutsch. Und das klingt teilweise schräg im 21. Jahrhundert. Ein paar Szenen können einige von uns schon auswendig und gerne parlieren wir die Texte. Überall im Alltag finden sich geeignete Stichworte, um das eine oder andere Zitat aus dem „Jedermann“ loszuwerden. Durchaus zum Leidwesen der Menschen außerhalb unserer Theatertruppe. Einige meiden uns bereits. Dutzende Male haben wir Hofmannsthals Text gelesen, Teile schon etliche Mal aufgesagt. Mehr und mehr wurde der Text für uns „recht schön und klar“. Ich bin erstaunt, wie sehr sich das von mir anfangs als moralisch eingestufte Stück, in seiner Großzügigkeit und tröstenden Art erschließt. Wie sehr ich doch die Reime mittlerweile genieße.

Doch das Publikum sieht und hört das Stück bei der Vorstellung nur einmal. Kaum Einer wird sich für mehrere Tage Karten kaufen. Der Text muss also beim erstem Mal verstanden werden. Stimmen, die mehr Veränderungen am Text verlangen, werden in unserem Regie-Team lauter. Wie weit wollen wir gehen? Da wir ja aus dem reichen Herrn Jedermann eine geschäftstüchtige Frau Jedermann gemacht haben und auch andere Figuren das Geschlecht wechseln mussten, waren einige Eingriffe in den Text unvermeidlich. Mann und Frau brauchen eben neue Reime.

Und da wir schon am Ändern waren, wurde fleißig weiter gestrichen und ergänzt, gereimt und umgestellt. Doch dann trat die andere Fraktion in unserem Regie-Team auf den Plan und stellte nach getaner Arbeit und einem fast fertigen, zum Spielen bereiten Text, alles in Frage. Auch wenn man nicht Sämtliches beim ersten Mal versteht, der Text hat eine besondere Kraft und die sollten wir ihm, gerade am Ort seiner Entstehung, nicht nehmen oder verfälschen, so die Argumentation. Also wurden extra Termine eingeschoben. Das Regie-Team traf sich erneut, der Beamer warf den bearbeiteten Text an die weiße Wand der Rodauner Werkerei, auf den Tischen lagen die Abdrucke der Originalversion. Einige Abende brauchten wir, um nochmals Änderung für Änderung durchzugehen. Am Ende waren gut zwei Drittel aller Modifizierungen wieder zurückgenommen. Werden und Vergehen, Schaffen und Lassen: Nahezu eine buddhistische Text-Mandala-Übung für unsere Regiegruppe.

Am Ende des Prozesses steht aber ein Konsens. Es ist für uns alle klar: Wir vertrauen auf die Kraft des weitgehend unveränderten Textes, auch wenn sich dadurch nicht sofort für alle Ohren im 21. Jahrhundert jede inhaltliche Nuance erschließt. Und wir vertrauen auf unsere Schauspielerinnen und Schauspieler, die mit ihren Figuren den Text lebendig machen werden.